Die Haushaltspolitik des Bundes findet regelmäßig ein großes Interesse. Das ist nicht verwunderlich, weil ihre Gestaltung einen Einfluss sowohl auf die gesamte Wirtschafts-entwicklung als auch auf die Finanzen der Unternehmen und der Bundesbürger hat. Aktuell wird intensiv über die Frage diskutiert, ob der Bundeshaushalt aus grundsätzli-chen Erwägungen ausgeglichen sein soll oder ob ein Defizit vertretbar ist.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Haushaltslage des Bundes erheblich ver-ändert. Das kommt besonders in der Höhe der Staatsschuldenquote zum Ausdruck, die wesentlich von dem Bundeshaushalt geprägt wird. Sie stellt die Relation zwischen der Verschuldung der öffentlichen Körperschaften und dem Bruttoinlandsprodukt dar. Die Quote lag im Jahr 2002 bei 59,3 % und stieg bis 2010 auf 81,0 %. Seitdem ist sie regel-mäßig gesunken. Das hatte zwei Gründe. Allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, dass ein ständiges ausgedehntes „Leben auf Pump“ eine nicht vertretbare Entwicklung zu Lasten künftiger Generationen darstellt. Zudem sieht der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt, der aus Anlass der Einführung des Euro beschlossen wurde, eine Grenze von 60 % vor. Gegen diese Vorschrift hat die Bundesrepublik bis Ende 2018 re-gelmäßig verstoßen! Sie blieb von Strafen verschont, weil sie sich auf die Ausnahmere-gelung berufen konnte, dass ein Verstoß so lange keine Konsequenzen hat, wie die Schuldenquote regelmäßig zurückgeht. Ende des vergangenen Jahres hat die Bundes-republik die Grenze mit 60,9 % nur noch geringfügig überschritten, in diesem Jahr wird sie sie einhalten. Die Bundesregierung erwartet eine Fortsetzung dieses Trends. Ende 2023 soll der Schuldenstand nur noch 51,3 betragen.
Aufgrund der Einsicht, dass eine ständige Neuverschuldung große Nachteile hat und die Versuchung groß ist, sie dennoch in Kauf zu nehmen, haben Bundestag und Bundesrat im Jahr 2009 eine so genannte Schuldenbremse in das Grundgesetz eingefügt, die den Bundesländern – abgesehen von sehr ungewöhnlichen Fällen wie Naturkatastrophen oder schweren Rezessionen – keine Neuverschuldung und dem Bund nur neue Schul-den bis zur Höhe von 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts erlaubt.
Der Bund hat von dieser Möglichkeit in den vergangenen Jahren keinen Gebrauch ge-macht. Er hat sogar seit 2014 die so genannte „Schwarze Null“, also den Verzicht auf neue Schulden, zum Grundsatz seiner Entscheidungen gemacht. Damit ist er zu einer soliden Haushaltsgestaltung zurückgekehrt.
Doch jetzt mehren sich die Kritiken an dieser grundsätzlichen Haltung. Die Bundesregie-rung erwartet für das nächste Jahr nur noch ein Wirtschaftswachstum von 1,0 Prozent statt der im Frühjahr vorhergesagten 1,5 Prozent. Deshalb werden in der Politik, der Wirt-schaft und der Wissenschaft Diskussionen über die Frage geführt, wie dieser Entwick-lung entgegengewirkt werden kann. Dabei spielt die Erfahrung, dass die Haushaltsfüh-rung der öffentlichen Hand die Wirtschaftsentwicklung beeinflussen kann, eine wichtige Rolle. Doch eine Garantie für einen solchen unmittelbaren Einfluss gibt es nicht. Zumin-dest kann die Haushaltspolitik keine „Feinabstimmung“ für den Konjunkturverlauf leisten.
Dennoch fordern manche Politiker und Wirtschaftsfachleute zusätzliche Ausgaben des Bundes, die durch die Aufnahme von Krediten finanziert werden müssten. Sie verlangen damit den Verzicht auf die „Schwarze Null“, einige sogar eine Änderung der im Grundge-setz vorgeschriebenen Grenze für Etatdefizite.
In der aktuellen Wirtschaftslage muss der Bund zur Förderung der Wirtschaftsleistung jedoch nicht unbedingt neue Schulden machen. Die neueste Steuerschätzung zeigt günstige Zahlen. Die Experten erwarten für den Bund ein höheres Steueraufkommen als noch im Mai. Zwar soll sich nach ihren Prognosen das Steueraufkommen im nächsten Jahr gegenüber diesem Jahr nur unwesentlich erhöhen, doch für die Jahre 2021 bis 2023 erwarten sie kräftige Zunahmen.
Auch eine Veränderung der Struktur der Ausgaben kann zur Vermeidung neuer Schul-den beitragen. Dabei sollte insbesondere geprüft werden, ob alle Sozialleistungen und Subventionen, die in früheren Jahren aus gutem Grund eingeführt wurden, noch not-wendig sind. Die Erfahrungen aus den vergangenen Jahrzehnten zeigen, dass Fehler in der Finanzpolitik überwiegend in wirtschaftlich guten Zeiten gemacht werden. Zusätzli-che Einnahmen werden für zum Teil wenig sinnvolle Ausgaben statt für eine Vorsorge für schwierige Zeiten verwandt. Ein größerer Ausgabenspielraum kann Politiker dazu verleiten, auf notwendige, aber unpopuläre Reformen zu verzichten.
Mittelfristig könnte der Bund sich auf die Notwendigkeit, die Wirtschaft anzukurbeln, auf andere Weise vorbereiten. Er könnte die in wirtschaftlich günstigen Zeiten erreichten Steuermehreinnahmen in einen Reservefonds einstellen, aus dem während einer Kon-junkturflaute sinnvolle Investitionen gefördert werden. Sobald die Konjunktur sich erholt hat, wäre der Fonds wieder aufzufüllen. Durch diese Konstruktion kann klar erkannt werden, ob die zur Konjunkturankurbelung aufgewandten Mittel in der wahrscheinlich folgenden Aufschwungsphase in voller Höhe wieder zurückgelegt werden. Um die Wirk-samkeit des Fonds mit der einer Schuldenaufnahme im Rahmen der Schuldenbremse zu entsprechen, müsste er mit einem Betrag von etwa 12 Mrd. Euro ausgestattet werden.
Die Einführung einer solchen Regelung setzt eine Änderung der Wertschätzung für ge-sunde Staatfinanzen voraus. Die Versuchung, zusätzliche Einnahmen für weitere Aus-gaben zu nutzen, ist groß. Doch in wirtschaftlich guten Zeiten mit Steuereinnahmen auf immer neue Rekordhöhen muss nicht die erste Frage sein, zu welchen Ausgaben die Mehreinnahmen genutzt werden sollen. Eine erfolgreiche Haushaltspolitik erfordert ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein. Dazu gehört auch der Mut, unpopuläre Ent-scheidungen zu treffen.
Die Frage, ob der Bundeshaushalt ausgeglichen sein soll oder ob ein Defizit vertretbar ist, hat eine grundsätzliche Bedeutung. Auch in der Finanzwelt spielen Emotionen eine Rolle. Die Bereitschaft, neue Ausgaben zu beschließen, ist geringer, wenn sie zu einem Wechsel von einem Haushaltsüberschuss zu einem Defizit statt zu einem Abbau von Reserven oder einer Erhöhung eines ohnehin vorhandenen Defizits führen. Auch des-halb ist es im Interesse einer soliden Haushaltspolitik ratsam, die „Schwarze Null“ beizu-behalten. Schulden sind nicht automatisch etwas Negatives, überflüssige Schulden da-gegen sehr wohl. Für den Saldo zwischen Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand gilt: Eine „Schwarze Null“ ist besser als eine rote Milliarde.